Hallo,
"Ich habe zwei Kinder. Meine älteres Kind ist komplett lt. Impfempfehlung durchgeimpft."
löblich.
"Bei meinem jüngeren Kind wäre jetzt die Windpockenimpfung dran. Meine Ärztin hat jedoch davon abgeraten."
das ist äusserst fahrlässig.
Das Robert-Koch-Institut empfiehlt seit August 2004 ist die Varizellen-Schutzimpfung für alle Kinder und Jugendlichen, denn eine Windpockenerkrankung ist durchaus nicht harmlos.
Schon die Grunderkrankung ist für das betroffene Kind alles andere als lustig. Windpocken (Varizellen) zeichnen sich durch ihr plötzliches Auftreten ohne wesentliche Vorboten aus. Es kommt zu einem häufig stark juckenden Hautausschlag, mit kleinen, rund-ovalen, roten Flecken, die zunächst am Rumpf, dann am behaarten Kopf auftreten. Gesicht, Arme und Beine sind in der Regel erst im Anschluss betroffen. Die Rötungen gehen in Bläschen über, wobei verschiedene Ausschlagsformen (Rote Flecken, Hauterhebungen und Bläschen – sog. „Sternenhimmel“ gleichzeitig auftreten können.
Windpocken: Hauterausschlag am 4. Krankheitstag.
Bild: J.D. Millar.
Windpocken: Bläschen an Händen und Unterarmen, 6. Krankheitstag.
Bild: J.D. Millar.
Noch ernster ist das Potential für Komplikationen: Eine sehr schwerwiegende ist z.B. die Varizellenlungenentzündung, auch Komplikationen im Bereich des Nervensystems sind möglich.
Komplikationen möglich: Windpocken-Virus, elektronenmikroskopische Aufnahme.
Bild: CDC/Dr. Erskine Palmer/B.G. Partin
Auch bleibt es geimpften Kindern vermutlich erspart, später an einer äusserst unangenehmen Gürtelrose (Herpes zoster) zu erkranken, das RKI sagt dementsprechend ("Zur Varizellenimpfung", Epidemiologisches Bulletin, 3. Dezember 2004 /Nr. 49): "...Daten aus den USA lassen erkennen, dass durch die Impfung die Häufigkeit des Zoster bei den geimpften Personen sogar reduziert wird").
Bei Zoster werden in Nervenzellen verbliebene Windpockenerreger (Varicella-Zoster-Virus) im Rahmen einer Abwehrschwäche des Organismus reaktiviert (Altersgipfel zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr), siehe auch
Juckreiz / Schmerz nach GürtelroseHerpes Zoster: typischer Hautausschlag.
Bild: CDC/Richard Facklam.
Eine Gürtelrose ist also nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, einige Patienten leiden stark über lange Zeiträume.
Eine niedergelassene Ärztin sollte sich nicht gegen das geballte Fachwissen der Ständigen Impfkommission (STIKO) stellen, als Kinderärztin in einer Praxis hat sie kaum die Möglichkeit (oder Zeit), wie diese Forscher stets die aktuellen Studien zu verfolgen. Es gibt diese spezielle Kommission, die wissenschaftlich fundierte Empfehlungen ausspricht, damit eben nicht jeder Arzt sein eigenes Süppchen kocht.
"Sie meinte das man trotz Impfung Windpocken bekommen kann"
im Falle eines eher seltenen Impfversagers würde die Erkrankung abgeschwächt verlaufen. Das ist bereits besser als nichts.
" und es ohnehin nicht klar ist wie lange die Impfung schützt."
das ist evtl. der Ärztin nicht klar, da sie sich nicht ausreichend informiert hat. Das ist bedauerlich, denn ohne eine fundierte Grundlage sollte sie derartige Äusserungen nicht machen.
Denn das die Impfung lange schützt, ist gut gesichert, das RKI sagt klipp und klar ("Zur Varizellenimpfung", Epidemiologisches Bulletin, 3. Dezember 2004 /Nr. 49): "Nach den bisherigen Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass die Impfung eine lang anhaltende Immunität induziert."
In der Studie "Childhood vaccination against varicella: persistence of antibody, duration of protection, and vaccine efficacy." (J Pediatr. 2001 Aug;139(2):297-304) waren auch nach 6 Jahren noch in 99,5% der Patienten ein Schutz durch Antikörper nachzuweisen. Dies korrespondiert gut mit der Studie "Duration of humoral immunity to common viral and vaccine antigens.", N Engl J Med. 2007 Nov 8;357(19):1903-15., die für Windpockenantikörper (untersucht wurden Patienten nach einem Antigenkontakt per Infektionen oder Impfung) zwar ein langsames Absinken der Blutkonzentration beobachtet, die errechnete (theoretische) Halbwertszeit (Absinken auf die Hälfte des Ursprungswertes für Windpockenantikörper) wird aber dennoch mit beruhigenden 50 Jahren angegeben.
" Es könnte also sein, dass meine geimpfte Tochter in 15 Jahren Windpocken bekommt und der Verlauf dann schwerer ist, als wenn sie sie als Kind bekommen hätte."
hat Ihnen das die Ärztin gesagt? Wenn es trotz Impfung zu einer Infektion kommt, verläuft diese dank der Impfung normalerweise viel
milder, nicht schwerer ("Childhood vaccination against varicella: persistence of antibody, duration of protection, and vaccine efficacy.", J Pediatr. 2001 Aug;139(2):297-304.). Die meisten Geimpften werden aber sogar komplett vor einer Erkrankung geschützt.
"Ich bin jetzt verunsichert. "
unnötigerweise dank der unbedachten halbgaren Äusserungen Ihrer Ärztin, das ist bedauerlich.
"Wäre es besser meine jüngere Tochter nicht zu impfen und darauf zu warten dass sie Windpocken bekommt?"
Und der Tochter das Risiko schwerer Komplikationen aufbürden (auch wenn diese selten vorkommen, aber will man, das ausgerechnet das eigene Kind davon betroffen ist)? Bitte nicht. Ausserdem würde Ihnen die Tochter später zu Recht die Hölle heiss machen, wenn sie nach einer "harmlosen" und komplikationslos verlaufenen Windpockenerkrankung in der Kindheit als erwachsene Frau plötzlich als Spätfolge einen schweren Zosterausbruch bekommt, den Sie als Eltern durch eine Impfung hätten abmindern oder vermeiden können.
Bitte lassen Sie die Tochter, nach Rücksprache mit einem weiteren Kinderarzt, auch gegen Windpocken impfen, konsultieren Sie den Impfkalender in diesem Themenblock, ob evtl. die Ärztin weitere Impfungen nicht gemacht hat.
Beste Grüsse und Alles Gute, halten Sie uns auf dem Laufenden
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