Hallo,
"seit meinem 4. Lebensjahr leide ich unter Reiseübelkeit. Und ... dies schränkt mein Leben gewaltig ein. "
Reiseübelkeit kann in der Tat ein sehr belastendes Problem sein. Betroffen sind meist Kinder und ältere Menschen.
Die Ursache für eine Reisekrankheit (Kinetose) liegt in widersprüchlichen Signalen aus diversen Wahrnehmungssytemen bei der Nutzung von Forbewegungsmitteln. Die gelieferten Sinneseindrücke von Augen (z.B. rasend schnelle Landschaftsbewegung bei Blick aus dem Seitenfenster eines fahrenden Autos, im schlimmsten Fall, wenn man im Zug mit dem Rücken zum Fahrer sitzt, sogar entgegen der Blickrichtung), Nerven im Bewegungsapparat (z.B. sitzende Position, entspannte und inaktive Muskeln), Gleichgewichtsorgan (z.B. ständige vom dem in Ruhestellung befindlichen eigenen Körper unabhängige Brems-, Beschleunigungs- und Rollbewegungen) sind vom Gehirn nicht mehr wie gewohnt durch sonst völlig unbewusste ablaufende Berechnungen sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Die Symptome der Reisekrankheit sind dann ein Ausdruck dieser Überlastung bei der Signalverarbeitung.
"Selbstverständlich habe ich im Abstand mehrerer Jahre auch immer wieder neue Versuche als Beifahrer im Auto oder auch mit dem Schiff gewagt"
können Sie denn Bus oder Bahn fahren, bzw. ein Flugzeug nutzen? Meist ist man bei Reisen mit Kleinwagen oder kleinen Booten besonders anfällig.
"Ingwerpräparate zeigen keine Wirkung"
das ist in schweren Fällen auch nicht zu erwarten.
" Dimenhydrinat in der frei verkäuflichen Dosis ebenfalls nur leicht wirksam."
die Einahme von Übelkeit bekämpfenden Präparaten, beispielsweise Dimenhydrinat-Dragees, ist sinnvoll, was meinen Sie denn mit "leicht" wirksam? Kommt es trotzdem zu Erbrechen?
Es können weitere Medikamente wie Scopolamin oder milde Beruhigungsmittel getestet werden.
"Mein behandelnder Arzt sagt, dass es sich lediglich um eingebildete Symptome handelt."
denkbar ist auch eine Kombination, d.h. eine Reiseübelkeit führt zu Ängsten, einer Ausschüttung von Stresshormonen und dann zu weiteren Symptomen. Auch kann sich nach über Jahre andauernden negativen Reiseerlebnissen eine Erwartungshaltung aufbauen, d.h. die Angst begünstigt das Auftreten der Reisekrankheitssymptome. Normalerweise lassen die Symptome nach der Kindheit nach.
" Der zu Rate gezogene Psychotherapeut verneint es und spricht von einer Kinetose."
prima, dass Sie auch an die Konsultation eines Psychotherapeuten gedacht haben, warum verneint dieser so kategorisch eine psychische Komponente? Das wundert uns etwas. "Kinetose" ist nur wieder ein anderer Begriff für Reisekrankheit, die haben Sie ja wohl auf jeden Fall, unabhängig davon, ob auch psychische Faktoren eine auslösende oder verstärkende Rolle spielen. Das sich bei einer seit dem Kleinkindalter anhaltenden Erkrankung keine verstärkenden Ängste aufgebaut haben, ist sehr unwahrscheinlich. Bei der Reisekrankheit werden Stresshormone ausgeschüttet, wenn Sie Angst haben auch, ein Zusammenspiel aus negativen Erwartungen und den unangenehmen Sinneseindrücken ist durchaus wahrscheinlich.
Helfen auch die anderen angesprochenen Medikamente und sonstige Massnahmen nicht, würden wir daher durchaus auch die psychische Komponente im Blick behalten und einen weiteren Psychotherapeuten befragen.
Entspannungsübungen können helfen, zu nennen sind mit Atemübungen, autogenes Training oder die progressive Muskelentspannung. Mehr oder weniger jeder Reisekranke mit stärkeren Symptomen dürfte sich auch aufgeregt bzw. ängstlich fühlen, alles was entspannt, ist daher sinvoll, das sollte aber auch der Psychotherapeut wissen.
Hier noch einige allgemeine Regeln:
Vor einer kurzen Reise besser nicht essen. Bei längeren Trips nur leichte Mahlzeiten. Während der Reise können Kaubewegungen helfen (Kaugummi). Kein Alkohol, kein Nikotin.
Niemals lesen, wenn aus den von den Augen gelieferten Informationen auch noch die unkontrollierbaren Fremdbewegungen herausgerechnet werden müssen, bürden Sie dem Gehirn noch mehr Arbeit auf.
Man sollte daher auch niemals die Augen auf sonstige Objekte im Fahrzeug fixieren, es ist für das Gehirn schwierig, das Bild ständig bei überraschenden Wacklern zu stabilisieren. Nie den Kopf gebeugt oder zur Seite gedreht halten.
Einigen Patienten hilft es, sich zurückzulehnen und einen Punkt in der Ferne zu fixieren (Horizont). Nie länger aus Seitenfenstern schauen.
Das Fahrzeug sollte bestens belüftet sein, keine Gerüche, auf keine Fall rauchen.
Körperliche Beschäftigung (Ablenkung) kann helfen. Bei Kindern z.B. Suchspiele, die es erlauben aus dem Vorderfenster zu schauen (Wer sieht den ersten grünen LKW ), Singspiele, etc.. Musik oder Hörbücher lenken auch Erwachsene ab.
Spezielle Regeln je nach Fortbewegungsmittel:
Auto:
Im Auto sollte der Empfindliche möglichst selbst fahren, der Fahrer eines Autos erkrankt eigentlich nie! Wenn Sie keinen Führerschein haben, wäre es eine Option, Fahrstunden zu nehmen.
Ist das nicht möglich, sollte ein Patient stets vorne sitzen (im Bus ganz vorne, noch vor der Vorderachse) , so dass die Augen die Fahrbahn überblicken können und man von Richtungsänderungen weniger überrascht wird.
Bitte einmal pro Stunde (!) Rast machen.
Abrupte Brems- oder Beschleunigungsmanöver sind zu vermeiden.
Angesichts Ihrer drastischen Beschwerden könnte z.B. für Autofahrten ein systematisches Herantasten an die Belastungsgrenze mit einer langsamen Erhöhung der Fahrtzeiten einen Versuch wert sein, sprich die Belastung (Fahrtdauer) wird nach und nach gesteigert.
Schiffe:
Frische Luft ist ganz wichtig, gehen Sie auf das Deck. Auch hier gilt, den Horizont zu fixieren (nicht die Wellen!). Man sollte sich einen Platz auf der Mittelachse des Schiffes suchen, dort merkt man Rollbewegungen nicht so stark, ebenso in den tiefen Unterdecks. Eine liegende Position mit geschlossenen Augen kann helfen, dann schaltet das Gleichgewichtsorgan auf Sparflamme.
auf einem Segelboot können Arbeiten auf Deck ablenken.
Flugzeuge:
Sitze im über den Flügeln versprechen minimierte Bewegungen. Eine möglichst liegende Position mit geschlossenen Augen kann auch hier helfen. Einigen Menschen hilft es, zwecks Ablenkung und Kreislaufanregung im Flugzeug auf und ab zu gehen.
Bahn:
nie gegen die Fahrtrichtung sitzen, nicht aus dem Fester sehen, in den vorderen Waggons einsteigen.
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