Verwalteter
Mangel
"Wenn man kein Geld hat kann man nicht christlich sein"
So
die Aussage des Verwaltungsdirektors eines konfessionellen Krankenhauses.
Sein Vorwurf an die Ärzteschaft des Hauses - Sie nähmen zu viele
Patienten auf. Gedacht wurde wohl an hilf- und obdachlose Alkoholpatienten,
die in zum teil lebensbedrohlichen Zustand immer wieder in Krankenhausambulanzen
eingeliefert werden. Daher die Konsequenz, den gehfähigen Patienten
ohne Krankenersicherung unter (Verwaltungs-) Begleitung dem Sozialamt
zwecks Kostenübernahme vorzustellen, bei "solide" wirkenden Patienten
reichte auch schon mal der vorab unterschriebene Blankoscheck.
Ein
Einzelfall? Nicht anzunehmen, zumindest aber ohne Folgen. Sicherlich
ist ein solches Dokument der Doppelmoral Ausdruck der kaufmännischen
Verzweiflung unter einem ökonomischem irrationalen Spardiktat
ein Krankenhaus führen zu müssen. Allerdings - Skrupel scheinen
weder kirchliche noch weltliche Verwaltungsdirektoren zu empfinden,
wenn Sie geltendes Recht bis an dessen Grenze und oft auch darüber
hinaus ausleg(t)en. Die Verletzung des Arbeitszeitgesetzes ist
die Regel, auch das Beschäftigungsförderungsgesetz wird gern als
Basis für rechtswidrige Kettenverträge genutzt.
Kritische
Mitarbeiter sind in der Regel weder von Verwaltungsdirektoren,
noch von Chefärzten gern gesehen. Gerne bedient man sich daher
des Weiterbildungskataloges den der chirurgische Assistenzarzt
- z.B. kaltgestellt in der Ambulanz - nicht erfüllen kann, einer
kleinen Leumundschädigung, oder einer Abmahnung (z.B. für ein
im Dienstzimmer abgestelltes Fahrrad) um Kritiker zu disziplinieren.
Am besten eignet sich dazu aber immer noch die Grundregel einer
Ausstellung befristeter Arbeitsverhältnisse.
50
Millionen unentgeltliche Überstunden jährlich, übermüdetes Personal,
Gesetzesverletzung als Regelzustand hat bisher weder Gesetzgeber,
Krankenkassen oder Gewerkschaften interessiert. Erst nach einem
Grundsatzurteil des Europäischen Gesetzhofes kam Bewegung in die
Medienlandschaft und erstmals wurden öffentlich auch die Ängste
der Patienten diskutiert: Werde ich im Krankenhaus adaequat von
qualifiziertem und leistungsfähigem Personal behandelt? Hat man
genügend Zeit für mich? Droht eine Zwei-Klassen-Medizin?
Auf
der Suche nach Einsparpotential nutzen Krankenhausträger die üblichen
Marktmechanismen - von Outsourcing der Krankenhausküche und Cafeteria,
über Allianzen mit ambulanten Dienstleistern, Ausrichtung der
Fachrichtungen nicht nach Bedarf - sondern nach Gewinnträchtigkeit,
manchmal auch Tarifaufkündigung und Kürzung/Nichtauszahlung von
Weihnachts- oder Urlaubsgeld bishin zur Personalreduktion. Letzteres
erweist sich allerdings als schwierig - stammen die Stellenschlüssel
für ärztliches und Pflegepersonal überwiegend aus den siebziger
Jahren - angesichts einer um 20 Prozent verringerten Patientenverweildauer
und einer um 17 Prozent gesteigerten Patientenzahl eine kaum zu
realisierende Maßnahme. Sollte der potentielle Patient zumindest
meinen. Aber auch das gelingt - spätestens über zwischenzeitliche
Nichteinstellung bei freigewordenen Stellen und über eine Reduzierung
der Qualität: Beispielsweise Einsatz von Abrufkräften als Nachtwachenpersonal,
nicht selten pflegerisch gering qualifizierte Kräfte, beispielweise
dem Germanistikstudenten als alleinige Nachtwache auf einer Allgemeinstation.
Zweite
Säule ist die Aquirierung von lukrativen Einnahmequellen - sprich
Privatpatienten - durch Investition in Privatstationen mit "Hotelcharakter",
mit Marmorbad, Minibar und hauseigenem Bademantel - ausgewähltes
Pflegepersonal in ausreichender Anzahl inklusive. Es ist eine
Frage der Deutung, ob hier die Zwei-Klassen-Medizin ihren Anfang
findet, oder ob es sich nicht in Teilen um die Angleichung an
schon lange überfällige Mindeststandards handelt. Ein besserer
Pflegeschlüssel, eine höhere ärztliche Präsenz, bessere Untersuchungs-
und Operationstermine, bis hin zu besseren Untersuchungs- und
Therapieverfahren stellen allerdings eine Grenzüberschreitung
dar.
Insbesondere
im Bereich der Betreuung schwerstkranker, altersverwirrter und
/oder sterbender Patienten sind die erhöhten Belastungen augenfällig.
Liegegeschwüre durch Mangelversorgung, gesetzwidrige Patientenfesselungen
und Sterben unter unwürdigen Bedingungen sind Zeichen der verwalteten
Mangels. Die Diskussion um Menschenwürde hat in Deutschland neue
Impulse erhalten - zu hoffen bleibt, dass sie nicht im Embryonalzustand
ihr Ende findet.
[Artikel
- Übersicht ]
© cyberdoktor.de
|