Forderung
nach humaner Arbeitszeit in deutschen Krankenhäusern
Wenn
der Patient zum Feind wird
"Wer
24 oder 30 Stunden hintereinander arbeitet, reagiert so, als habe
er ein Promille Alkohol im Blut. Nach dreißig Stunden Dienst
wird jeder Patient zum Feind." So das Statement eines Klinikoberarztes,
angesicht einer fortgesetzten Mißachtung geltenden Abeits-
und Arbeitzeitrechtes in deutschen Krankenhäusern, auf der
99. Hauptversammlung des Marburger Bundes im Mai diesen Jahres.
Zuvor
hatte der Europäische Gerichtshof mit einer Entscheidung vom 03.
Oktober des vergangenen Jahres (Richtlinie 93/104/EG) festgestellt,
dass der in Krankenhäusern geleistete Bereitschaftsdienst als
Arbeitszeit anzusehen ist. Diese Grundsatzentscheidung erfordert
eine grundlegende Änderung des deutschen Arbeitszeitgesetzes.
In diesem wurde - anzunehmenderweise aus Gründen der Kostenopportunität
- vom Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung erlassen: Bereitschaftsdienst,
so heißt es dort, ist Ruhezeit. Und die wird mit einem Bruchteil
des normalen Stundenlohnes entlohnt. Überstunden können somit
nicht entstehen, Nacht-, oder Feiertagszuschläge können eingespart
werden.
In
den zurückliegenden Jahren wurden angesichts der erforderlichen
Kostendiskussion durch Krankenkassen und Politikvertreter regulatorische
Schnellmaßnahmen verabschiedet: zehn Prozent der Krankenhäuser
wurden geschlossen, 15 Prozent der Betten abgebaut und die Patientenverweildauer
um 20 Prozent verkürzt. Zugleich erhöhte sich die Patientenzahl
in den Krankenhäusern um 17 Prozent - allerdings ohne Auswirkung
auf die Stellenschlüssel für Pflege- und Ärztepersonal. Von diesen
wurde die Arbeitsverdichtung, nicht zuletzt im Hinblick auf Abhängigkeiten
seitens der Ärzte (Kurzzeitverträge, Weiterbildungszeiten), hingenommen.
Selbst geltendes Arbeitszeitrecht wurde und wird von der überwiegenden
Anzahl der Krankenhausträger, trotz theoretischer Sanktionen bis
hin zu Haftstrafen für die verantwortlichen Verwaltungschefs,
ignoriert. Ärztliche Arbeitszeiten von mehr als 30 Stunden am
Stück, sind ebenso wie durchschnittliche Wochenarbeitszeiten zwischen
60 und 80 Stunden Krankenhausrealität. Auch Wochenarbeitszeiten
über 100 Stunden wurden dokumentiert. Staatliche
Kontrollen der Arbeitszeiten sind dagegen die Ausnahme und entsprechen
inhaltlich meist einer Befragung des Krankenhausträgers. Jährlich
50 Millionen Überstunden ohne Bezahlung, oder Freizeitausgleich
bleiben unerwähnt.
Der
Europäische Gerichtshof hat unmissverständlich festgestellt, dass
Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu werten ist. Die Krankenhausträger
versuchen nun mit abenteuerlichen Argumentationen die Nachfolgewirkung
der Richtlinie auszuhebeln, selbst bisher als Hardliner aufgetretene
Chefärzte sorgen sich plötzlich um Wohlergehen und Weiterbildung
Ihrer Assistenten - Ziel bleibt die Verhinderung einer Gesetzesänderung.
Die "Ärztegewerkschaft" Marburger Bund wurde zwischenzeitlich
aktiv, in den Medien ergab sich ein beachtliches Echo. Aber mit
Mißtönen, denn angesichts der aktuellen Streikentwicklungen gab
es erste Stimmen, die die Situation der Ärzte mit der der Piloten
verglichen. Nur liegt der Bruttojahresgrundlohn eines Assistenzarztes
inklusive Überstunden bei etwa 84.000 DM. Hart erwischt es den
Arzt im Praktikum (18 Monate): Sein Bruttojahresgrundlohn beträgt
ca. 29.000 DM, zuzüglich einem Stundenlohn von ca. 6 DM netto
pro Bereitschaftsdienst (15,5 h), wohlgemerkt zwischen zwei "normalen"
Arbeitsschichten. Mit Sicherheit keine adaequate Entlohnung aber
vor allem keine Arbeitszeit, wie sie Piloten, Feuerwehrmännern
und Polizisten schon lange zusteht.
Während
Europa übermüdeten Ärzte und Pflegkräfte verbietet, bleibt in
Deutschland zunächst alles beim Alten. Aber die potentiellen Patienten
haben die Gefahr erkannt: Wurde bisher hingenommen, dass durch
zunehmende Arbeitsverdichtung die Dauer des durchschnittlichen
Patienten-Arzt-Kontaktes während eines Krankenhausaufenthaltes
auf etwa fünf Minuten täglich zusammenschrumpfte, zeigen sich
viele Bürger aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit in einer Notfallsituation
durch einen übermüdeten Arzt behandelt zu werden, beunruhigt.
Und in der Tat - breite arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse
belegen eine mit zunehmendem Müdigkeitsgrad deutliche Fehler-
und Unfallhäufung. Autofahren dürfte ein ermüdeter Krankenhausarzt
- nach deutscher Gesetzgebung - zum Ende seiner Schicht nicht
- behandeln aber ist erlaubt.
Zuletzt
haben 50 Ärztinnen und Ärzte der Städtischen Kliniken in Kiel
gegen Ihre Arbeitsbedingungen Klage eingereicht. Auch das Arbeitsgerichtes
Gotha bestätigte das EuGH-Urteil "Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit".
Unbestreitbar bedeuten die bisherige Arbeitszeitregelung im Krankenhaus
eine - politisch akzeptierte - Gefahr für die Gesundheit von Patient
und Arzt. Was, so fragen sich Vertreter des Marburger Bundes,
helfen die Pläne der Bundesregierung zum Erlass eines Patientenrechtsgesetzes,
wenn nicht einmal die Rahmenbedingungen ärztlichen Handelns geklärt
sind.
Nicht
zuletzt angesichts der geltenden Arbeitsbedingungen im Krankenhaus,
dem staatlich geduldeten Regelverstoß gegen geltendes Recht, erhält
auch die Euthanasiediskussion eine neue Facette: Ärztliche Forderung
ist eine aktive Sterbebegleitung statt Tötung auf Verlangen, mehr
qualifizierte Schmerztherapie und bestmögliche Pflege - eine hehre
Forderung im Angesicht leerer (Gesundheits-) Kassen.
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