Arzt
oder Gesundheitskrämer
Verspielen
Ärzte Ihr Vertrauen?
Der
Patient als Kunde, klarer ist die Botschaft dieser Aussage nicht
zu erfahren, als wenn man Adressat des ärztlichen IGEL-Kataloges
wird. Hinter der niedlichen Bezeichnung verbirgt sich ein Katalog
"individueller Gesundheitsleistungen" - für den Kassenpatienten
heißt dies Leistung gegen Cash.
Neu
sind Selbstzahlerleistungen für Kassenpatienten nicht. Kosten
für Schutzimpfungen vor Urlaubsreisen, für private Gesundheitszeugnisse,
die Entfernung von Tätowierungen oder Schönheitsoperationen dürfen
nach dem Gesetz nicht durch die Solidargemeinschaft der gesetzlich
Krankenversicherten finanziert werden. Doch nun haben die Ärzte
damit begonnen, den gesetzlich versicherten Patienten systematisch
privatärztliche Leistungen zu offerieren. Absicht sei es, so Vertreter
der Krankenkassen, aber auch der Ärzte, unter dem Druck der Budgetierung
ärztlicher Leistungen verlorene Einnahmen zurückzugewinnen. Darüberhinaus
begründen Vertreter der Ärzte Offerten aus dem IGEL-Katalog mit
der medizinischen Erfordernis bestimmter ärztlicher Untersuchungen,
die aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen
wurden. Hierzu gehören Vorsorgeuntersuchungen, die von der Kasse
nur dann bezahlt werden, wenn schon Anhaltspunkte für eine Erkrankung
bestehen.
Aus
ärztlicher Sicht und nach Meinung von Selbsthilfegruppen seien
viele aus dem gesetzlichen Leistungskatalog gestrichene Untersuchungen
erforderlich, um schwere Krankheiten bereits im Vorfeld erkennen
und therapieren zu können. "Doch man wartet man ab, bis das Kind
in den Brunnen gefallen ist", erläutert Renate Bowitz, Sprecherin
des Kuratoriums Knochengesundheit e.V. Angeführt wird das Beispiel,
dass Knochendichtemessungen bei Osteoporosepatienten nicht mehr
erstattet werden - erst wenn es zum Knochenbruch gekommen ist,
darf die gesetzliche Krankenkasse die Kosten der Untersuchung
übernehmen.
Ein
Paradebeispiel ist die Hautkrebs-Früherkennungsuntersuchung (Muttermalkontrolle),
trotz steigender Zahlen der Hautkrebsfälle in Deutschland, nunmehr
keine Kassenleistung. Heiß umstritten ist auch die Nichterstattung
aber auch der Einsatz der Röntgenuntersuchung der weiblichen Brust
(Mammographie) zur Früherkennung von Brustkrebserkkrankungen.
Anzufügen ist ebenso das Beispiel der Früherkennung eines erhöhten
Augeninnendruckes (Glaukom), der in Deutschland eine der Hauptursachen
für Erblindungen ist. Im Rahmen der Ergebnisberichterstattung
eines zweijährigen Projekts zur "Bürgerorientierung im Gesundheitswesen"
des Landes Nordrhein-Westfalen wird diesbezüglich festgehalten,
dass keineswegs eine irgendwie geartete Glaukomfrüherkennung aus
dem Leistungskatalog der GKV gestrichen worden sei. "Vielmehr
wird offenbar die entsprechende Ziffer nicht mehr erstattet, wenn
nicht weitere Indikatoren für eine Untersuchung vorliegen. Das
Problem ist also nicht, dass die Kasse es nicht mehr bezahlt,
sondern dass die Glaukomuntersuchung niemals zu einer der Vorsorgeuntersuchungen
gehört hat." Letzteres als ursprüngliches Problem zu definieren
zeugt von wenig Sachverstand. Denn liegen "weitere Indikatoren
für eine Untersuchung", im Sinne diesbezüglicher Symptome vor,
sind in aller Regel irreversible Schäden am betroffenen Auge vorhanden.
Die Erkrankung entwickelt sich lange Zeit schleichend und symptomlos.
Eine
andere Frage ist allerdings wie Ärzte Ihre Leistungen offerieren.
So kommt es nicht selten vor, dass schon am Empfang von Arzthelferinnen
Vordrucke an die Patienten verteilt werden, die schon im Wartezimmer
ihr Einverständnis zu einer kostenpflichtigen zusätzlichen Untersuchung
geben sollen. Frauenärzte unweit von Düsseldorf hängten in ihren
Praxen ein Plakat auf, auf dem sie ihre Patientinnen über eine
sogenannte erweiterten Krebsvorsorgeuntersuchung informierten.
Erläutert wurde auf Plakat zunächst die gesetzliche Krebsvorsorge.
Überschrieben war dieser Teil mit "Kleiner Vorsorge". Im folgenden
größeren Absatz, überschrieben mit "Große Vorsorge", wurden Labor-,
Ultraschalluntersuchungen und weitere Untersuchungsangebote mit
Preisen aufgelistet. Das Plakat schloss mit dem Satz: "Bestimmen
Sie selbst, was Ihnen für Ihre Gesundheitsvorsorge wichtig ist
und notwendig erscheint. Sagen Sie unseren Mitarbeiterinnen, ob
sie die kleine oder die große Krebsvorsorge wünschen". Solche
Aussagen sind dazu geeignet ihre Adressaten zu verunsichern, der
Arzt hat es in der Hand mit der Angst seiner Patienten sein Budget
zu steuern.
Die
Ärzte-Zeitung empfiehlt Ihren Lesern als Verkaufstraining "Rollenspiele,
in denen die Praxismitarbeiter abwechselnd in die Rolle von Arzt
und Patient schlüpfen." Die Medical-Tribune berichtet unter der
Überschrift "Breites Spektrum, gute Rendite" über wissenschaftlich
umstrittene Behandlungverfahren. Eine Firma bewirbt ihre Diätprodukte,
mit der Verheißung, Ärzte könnten sich eine völlig neue Zielgruppe
erschließen, in dem sie "sich auf den Wandel im Gesundheitswesen
einstellen und mit hochwertigen Gesundheitsleistungen außerhalb
der klassischen Heilkunde nachfrageorientiert agieren". Für den
Patienten wird der Arzt als Ernährungsberater agieren, indirekt
aber wird vom Arzt ein Diätprodukt vertrieben. Das Angebot
der Unternehmen reicht bis zum Vertrieb von Versicherungsprodukten
einer privaten Krankenversicherung in der Praxis.
Der
von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zusammengestellte
IGEL-Katalog enthält zudem alternative Heilverfahren, Labortests,
Serviceangebote wie garantiert kürzere Wartezeiten oder Gewichtsreduktionspillen
wie Xenical. Initiator der IGEL-Liste war der damalige Vizeverwaltungschef
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Lothar Krimmel. Später
gründete er die MedWell Gesundheits-AG, die Ärzten umfassende
Unterstützung bei der Vermarktung privatärztlicher Leistungen
anbietet. In diesem Zusammenhang hat MedWell mit dem privaten
Krankenversicherer DKV eine Zusatzversicherung entwickelt, die
einen Teil der Igel-Leistungen abdeckt. Ähnlich einem Franchise-Modell
entrichtet der Arzt für die MedWell-Leistungen einen Anteil seines
privatärztlichen Umsatzes an das Unternehmen. Nach Aussage von
MedWell-Vorstand Krimmel machen derzeit "Millionen von Patienten
die Erfahrung, dass sie wegen der Budgetierung der Kassenmedizin
von fortschrittlichen Behandlungsmethoden abgeschnitten werden."
Diese pointierte Formulierung ergänzt er mit der Erkenntnis, dass
der Arzt heute nicht mehr nur "Heiler", sondern auch Berater zum
Beispiel in Lifestyle- und Wellness-Anliegen sei.
Die
Rationierung von Gesundheitsleistungen, die offensichtliche Bevorzugung
von Privatpatienten wirft Grundsatzfragen von erheblichem Ausmaß
auf. Die Aufgabe des ärztlichen Selbstverständnisses darf als
Konsequenz aber nicht dazu gehören. Denn zu den ärztlichen Berufspflichten
gehört nicht nur, dass Ärzte und Ärztinnen ihren Beruf gewissenhaft
ausüben, sondern auch, dass sie dem ihnen bei ihrer Berufsausübung
entgegengebrachten Vertrauen entsprechen. Dies wird jedoch zur
Gratwanderung, wenn der Arzt seinem übergewichtigen Patienten
eine Spezialdiät empfiehlt und verkauft, wenn der Frauenarzt eine
Ultraschalluntersuchung mit Verweis auf die fehlende Kassenleistung
verweigert, im gleichen Atemzug aber eine solche gegen Barzahlung
anbietet. Wenn der HNO-Arzt nach einem Hörsturz eine privat zu
bezahlende Akupunkturbehandlung empfiehlt, wenn der Hautarzt eine
Warzenentfernung ausschließlich als kosmetisches und daher privat
zu finanzierende Leistung definiert oder auch wenn der Internist
eine fachärztliche Generaluntersuchung gegen bar offeriert.
Schon
keine Gratwanderung mehr ist es, wenn Hautärzte Ihre Praxis in
ein der Heilkunde entfremdetes Kosmetik- und Laserstudio verwandeln
oder Ärzte mit "Lifestyle-, Wellness-und Anti-Aging-Medizin" und
damit verbundenen teils abstrusen Prophezeiungen und Behandlungsverfahren
- als Beispiel sei die orthemolekulare "Medizin" genannt - in
das Reich der Scharlatanerie abzugleiten drohen. Ohne Zweifel
sind die meisten Ärzte bemüht, eine im Sinne des hippokratischen
Eids, optimale Behandlung anzubieten. Oftmals sehen sie sich mit
ihren Nöten und Kosten von der Gesetzlichen Krankenversicherung
und der Politik allein gelassen. Den Konflikt mit Krankenkassen
und politischen Verantwortlichen auf Kosten des Patienten auszutragen,
ist der falsche und zudem ein unärztlicher Weg. Eine Wandlung
vom ärztlichen Dienstleister zum Gewerbetreibenden ist die Kapitulation
vor den zu diskutierenden Problemen im Gesundheitswesen. Die Basis
des Arztberufes, das Vertrauensverhältnis zum Patienten wird auf
diesem Weg zerstört.
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