Widerstand
gegen EU-Gen-Richtlinie
Die
Verabschiedung einer Gentechnik-Richtlinie, die eine Patentierung
von Lebensformen möglich macht, ist heftig umstritten. Von
Ihren Gegnern befürchtet wird eine Orientierung der Gesetzgebung
an den wirtschaftlichen Belangen der Biotechunternehmen. In diesem
Zusammenhang kritisiert wird die Praxis des Europäischen
Patentamtes in München im Umgang mit der Patentierung von
Lebensformen.
Auf
Initiative des Bundestagsabgeordneten Dr. med. Wolfgang Wodarg
und des Professors für medizinische Genetik, Jean Francois
Mattei (Mitglied des französischen Parlamentes), erfolgte
der Aufruf mit dem Titel:"Gegen die Patentierbarkeit menschlicher
Gene". Anlass des Aufrufes ist die Verabschiedung der EU-Richtline
"Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen".
Mit
dieser soll eine Angleichung an das vorwiegend ökonomisch
orientierte Patentrecht der USA, erfolgen. Dort kann eine Firma
mit der Anwendung eines Gens, dessen weitere Nutzungsmöglichkeiten
komplett blockieren. Im Gegensatz zur USA, kann in Europa nur
ein Patent auf die Anwendung, nicht aber auf das komplette Gen
erteilt werden. Beispielhaft für die aus dem US-Patentrecht
entstehende Problematik ist die Erteilung des Patentes für
das Human-Gen CCR5 an die US-Firma Human Genome Sciences. Zum
Zeitpunkt des Patentantrages, im Jahr 1995, war Human Genome Sciences
die Bedeutung des von ihnen zum Patent angemeldeten Genes noch
unklar. Erst im Lauf der Folgejahre zeigte sich: CCR5 produziert
ein Eiweißmolekül, das dem HI-Virus den Eintritt in
die menschliche Zelle ermöglicht. Folgerichtig müßte
die Menschheit durch eine Blockade von CCR5 vor der AIDS-Krankheit
gefeit sein. Unabhängig voneinander haben weitere vier Forschergruppen
diese Bedeutung erkannt. Nach US-Rechtlage muß nun davon
ausgegangen werden, daß Human Genome Sciences von den anderen
Forschern, im Falle einer Verwertung deren selbständig erworbenen
Wissens, Lizenzgelder fordern kann.
"No
patents - no cure", keine Patente - keine Therapie, so argumentierten
Vertreter der Pharmaindustrie. Ihr Erfolg war und ist die zunehmende
ökonomisch orientierte Rechtsprechung im Hinblick auf die
Verheißungen der Gentechnik. Der private Genforscher Craig
Venter hat vorsorglich schon einmal für 6500 Gene Patentanträge
gestellt. Im Wettlauf um die Entschlüsselung der menschlichen
Gene zeigte er sich nicht zimperlich. So rechnete er die im Internet
publizierten, durch öffentliche Forschergruppen entschlüsselten,
Gensequenzen den seinen hinzu, und kann sich nun als Sieger im
Entschlüsselungswettbewerb präsentieren. Umgekehrt aber
veröffentlichte er seine Erkenntnisse in wesentlichen Anteilen
nicht.
Wie
wichtig eine öffentliche Diskussion ist, zeigte unlängst
das Vorgehen der Verantwortlichen des Europäischen Patentamtes
in München. Hinderliches Recht wurde dort geflissentlich
mißachtet. Da mußte im Juni 1999 Greenpeace erst die
Eingänge zum Münchner Amtssitz symbolisch zumauern,
damit der breiten Öffentlichkeit gegenwärtig wurde,
daß soeben eine grundlegende Entscheidung des Europäischen
Patentamtes gefällt worden war. Sie schützt, entgegen
der geltenden Rechslage, das Züchten menschlicher Embryonen.
Das erteilte Patent EP 695 351 beinhaltet die Entnahme von Zellen
aus menschlichen Embryonen, deren gentechnische Manipulation,
ebenso wie die Züchtung gentechnisch veränderter Embryonen.
Die geltende EU-Richtlinie verbietet dahingegen explizit die Verwendung
von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen
Zwecken, nicht zu Forschungszwecken. Nach Herstellung einer, anzunehmend
eher unerwünschten Öffentlichkeit, wurde von Seiten
eines Sprechers des Europäischen Patentamtes mitgeteilt,
es handele sich um ein, allerdings rechtsverbindliches, "Versehen".
Der "Spiegel" verwies daraufhin auf Berichte von Mitgliedern des
Patentamtes, sie seien angewiesen worden "Patentanträge nicht
zu genau zu lesen" (SPIEGELONLINE, 30. 05. 2000).
Trotz
einer eindeutigen EU-Rechtslage, die besagt, dass "Pflanzensorten"...."Tierarten"
und im "wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von
Pflanzen und Tieren" nicht patentiert werden dürfen, wird
von Seiten der Industrie, augenscheinlich in Übereinkunft
mit dem Europäischen Patentamt in München, versucht
diese Regularien zu umgehen. Obwohl nur Erfindungen, keine Entdeckungen,
patentiert werden dürfen, umgeht das Münchner Patentamt
dieses Gebot mit einer eher rustikal anmutenden Argumentation:
Aus der Entdeckung würde eine Erfindung, wenn das entdeckte
Objekt grundsätzlich nutzlos sei, ihm seine Bedeutung erst
durch eine technische Errungenschaft beigemessen werde, und es
dadurch seine Bekanntheit erfahre. Daraus resultierend ergibt
sich die eher philosophisch anmutende Fragestellung, ob entdeckte
Gene, und damit die Grundlage nicht nur der menschlichen Existenz,
als nutzlos zu bewerten sind. Zitiert in diesem Kontext wird gerne
das Gleichnis vom Knollenblätterpilz: 1977 hat das Bundespatentgerichts
entschieden, dass eine im Knollenblätterpilz entdeckte, zur
Therapie der Pilzvergiftung einsetzbare, bis dahin unbekannte
Substanz, als patentfähige Erfindung anzuerkennen sei. Neben
der Entdeckung des Stoffes sei es zur Erfindung einer Verwendbarkeit
im technischen und gewerblichen Sinne gekommen. Die Patentierung
von Genen allerdings entspricht in der Konsequenz einem Patent
gleich auf den gesamten Knollenblätterpilz.
Vertreter
der Bundesärztekammer und der Landesärztekammer Hessen
haben sich dem eingangs angeführten Aufruf angeschlossen.
Weitere Aktionen gegen eine weitere Kommerzialisierung des menschlichen
Erbgutes werden u.a. unterstützt von der Umweltschutzorganisation
Greenpeace und der Initiative "Kein Patent auf Leben".
Kontakt:
Europäische
Kommission: www.eu-kommission.de
Europäisches
Patentamt: www.european-patent-office.org
Greenpeace:
www.greenpeace.de
Initiative
"Kein Patent auf Leben": www.keinpatent.de
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